Trenddrogen Benzos und Co: „Konsum ist Flucht aus der Realität“
Radio Burgenland – Radio Burgenland Sprechstunde
Dr. Christian Müller, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Sozialen Dienste Burgenland, sprach über das Thema „Trenddrogen Benzos und Co“ in der „Radio Burgenland Sprechstunde“ am 2. Mai 2024 mit ORF-Moderatorin Nicole Aigner.
Der Hauptschwerpunkt von Dr. Christian Müller ist die Leitung in der Drogenambulanz im Rahmen der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Eisenstadt, wo es ein Beratungsangebot für minderjährige Substanzkonsumenten gebe. „Bei den Substanzen gibt es einige Schwerpunkte, etwa eine flächendeckende Cannabiskonsumszene, aber eben auch Benzodiazepine. Diese Benzos sind verschreibungspflichtige Medikamente, die krampflösend, muskelentspannend, angstlösend und durchschlaffördernd. In gewissen Kombinationen können sie auch euphorisierend wirken und Sozialkontakte fördern“, so Dr. Christian Müller. In ganz Österreich gebe es leider keine validen Erhebungen zum Konsum von Benzos. „Wir sehen aber in der Alltagsarbeit eine deutliche Zunahme von Mischkonsum. Da sind die Benzos seit ungefähr einem dreiviertel Jahr ein Trend geworden, auch in Kombination mit Opioiden wie Oxycodon aber auch Psychopharmaka wie Pregabalin, welches auch sehr angstlösend wirkt“, so der Facharzt.
Verdrängung von Belastungen
Die Gründe für den Konsum bei den Jugendlichen erklärt Dr. Christian Müller folgendermaßen: „Diese Substanzen lassen belastende und erdrückende Erfahrungen nicht zu, mit denen wir in den letzten Jahren etwa wegen der Pandemie auch als Erwachsene nur schwer zurechtgekommen sind.“ Es seien dabei weniger die Zukunftsängste, sondern die Angst um das hier und jetzt bei den Jugendlichen. Dr. Christian Müller nennt hierfür ein Beispiel: „Ein 16-jähriges Mädchen hat schon kurz vor der Pandemie aufgrund von Mobbing die Schule verlassen müssen. Neustartversuche haben wegen der Pandemie nicht stattgefunden. Das bedeutet, dass dieses Mädchen vier Jahre lang während einer der wichtigsten Entwicklungsphasen nicht in sozialen Gefügen war. Dieses Mädchen kennt dann jede Substanz, die es gibt.“Es gehe beim Konsum um eine Flucht aus der Realität, abzuschalten oder sich aufzuputschen, die Jugendlichen können sich mit Benzos alle diese Zustände holen. „Die Jugendlichen, die zu uns kommen, nehmen die Hilfe auch wirklich in Anspruch. Die hauptsächlichen Ansprechpartner sind für sie die Peer-Group, also die Gleichaltrigen, sowie Menschen aus dem pädagogischen Umfeld. Oft kommen die Jugendlichen mit etwa einem Vertrauenslehrer besser ins Gespräch als mit dem familiären Umfeld“, so Dr. Christian Müller.
Kommunikation mit den Eltern schwierig
Probleme in der Kommunikation mit den Eltern gebe es einige. „Jugendliche sind dabei sich von den Eltern abzulösen, daher erzählen die Jugendlich wenig und illegale Dinge schon gar nicht. Außerdem sind Eltern schnell sehr betroffen und schaffen es nicht, einen klaren und ruhigen Kopf bei solchen Situationen zu bewahren. Da haben es Lehrpersonen oder Ärzte leichter, da wir nicht direkt emotional verhaftet sind mit den Jugendlichen. Das heißt natürlich nicht, dass wir keine Empathie mit ihnen haben“, so der Facharzt. Der beste Rat für Bezugspersonen bzw. Eltern sei eine nicht wertende Offenheit. „Wenn ich in der Schultasche etwas finde, dann unbedingt ansprechen. Wichtig ist dabei aber nicht zu bestrafen, sondern zu versuchen, einen Einblick in die Situation zu bekommen, in der sich die Jugendlichen befinden. So wird man als Elternteil mehr Informationen bekommen, wie wenn man tabuisierend und strafend an die Sache herangeht“, erklärt Dr. Christian Müller.
Lebensgefährliche Abhängigkeit
Die Gefahren bei den Benzos seien vor allem die Abhängigkeiten. „Hier geht es nicht nur um die psychische Abhängigkeit, sondern auch um eine körperliche. Es gibt schwere Entzugserscheinungen, die mitunter auch lebensbedrohlich sein können. Auch bei zu hoher Dosis oder starkem Mischkonsum kann es zu lebensbedrohlichen Vergiftungen kommen, die etwas das Atemsystem lähmen“, so Dr. Christian Müller.
Wesensänderung unbedingt ansprechen
Der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie erklärt die Alarmzeichen für beispielsweise Eltern oder Lehrpersonen folgendermaßen: „Bei einer Änderung des Wesens sollte man hellhörig werden, bei starken Stimmungsschwankungen oder Übermüdung. Wenn sich die Jugendlichen zurückziehen, abdriften, sehr müde sind oder Anzeichen wie Lallen oder Schlaffheit auftreten, sollten die Alarmglocken schrillen. Auch sehr gereiztes Verhalten kann ein Warnzeichen sein. Eine Wesensänderung sollte unbedingt angesprochen werden.“ Oft sehe man beim beginnenden Konsum, dass sie Jugendlichen traurig sind, sich zurückziehen und mit ihrer Umwelt nicht mehr zurechtkommen.
Offenheit statt Tabuisierung
Die schlechteste Vorgehensweise für die Bezugspersonen sei dabei die Tabuisierung. „Man sollte das Thema empathisch, offen, authentisch und wertneutral ansprechen. Die Jugendlichen dürfen sich dabei nicht bedroht fühlen, sondern sollen das Gefühl haben, dass sie mit einem Erwachsenen reden, der sie nicht anzeigt und verrät. Wichtig dabei sind die Bedürfnisse und Gesundheit der Jugendlichen und nicht die rechtlichen Konsequenzen“, so der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Wichtig sei auch, mehrmals nachzufragen und nicht nur einmal. „Das Dranbleiben ist das Um und Auf. Man muss einen geschützten Raum schaffen, wo man sich regelmäßig, und den Bedürfnissen der Jugendlichen entsprechend, unterhalten kann“, so Dr. Christian Müller.
Lösungen für Lehrkräfte
Für Lehrkräfte nennt der Facharzt zwei Denkanstöße: „Es gibt die Suchtprävention der Sozialen Dienste Burgenland, die an Schulen Workshops und Unterrichtsprogramme mit den Lehrkräften und den Jugendlichen anbietet. Sollte es einen konkreten Verdachtsfall geben, unbedingt versuchen mit den Jugendlichen zu reden. Es gibt dann die Möglichkeit nach Paragraph 13 des Suchtmittelgesetzes, diese Maßnahme stellt helfen statt strafen in den Vordergrund. Dabei gibt es einen klaren Ablauf, bei dem auch die Schulpsychologen und -ärzte sowie die Direktion involviert sind.“ Dabei gebe es ein gemeinsames Gespräch mit den Eltern und den Jugendlichen. „Die Jugendlichen kommen dann zu uns in die Ambulanz und wir machen die Diagnostik und Abklärung ihnen und den Eltern. Wir schauen dann, welche Behandlung oder Begleitung notwendig ist“, erläutert Dr. Christian Müller. Oft sei das „Verbotene“ für Jugendliche reizvoll, daher sei es schwierig, ihnen die Gefahr von Experimenten mit Drogen klarzumachen. „Hierzu braucht man ein kompetentes Wissen über die Substanzen, den Konsum und die Szene. Man muss wissen, wie Jugendliche ticken“, so der Facharzt.
Psychosoziales Team der Drogenambulanz
Dr. Christian Müller leitet das Team der Drogenambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Eisenstadt: „Ich decke in dem Team die ärztliche Komponente ab. Dann haben wir Mitarbeiter aus dem sozialarbeiterischen, psychologischen, pädagogischen, pflegerischen und psychotherapeutischen Bereich. Sie haben alle eine vertiefte Ausbildung in der Suchtberatung.“ In diesem psychosozialen Team werde versucht, das Angebot für die Jugendlichen zu gestalten, dass diese gerne wiederkommen würden. Der Bedarf an Suchtberatung wäre noch um einiges größer. „Unsere Ambulanz hat aber eine hohe Schwelle der Erreichbarkeit, weil wir darauf angewiesen sind, dass die Jugendlichen zu uns kommen. Es bräuchte aber auch Angebote, die die Jugendlichen dort antreffen, wo sie sich aufhalten und geschulte Suchtberater oder Pädagogen mit ihnen in Kontakt kommen“, so Dr. Christian Müller.
Vorbildwirkung ab frühem Alter
Für Erwachsene sei es auch wichtig, einen bewussten Umgang mit etwas Alkohol vorzuleben. „Offen, transparent und nicht tabuisierend aber auch nicht verharmlosend sollte der Umgang sein. Ehrlichkeit ist dabei wichtig. Jugendliche orientieren sich nicht mehr an den klassischen Vorbildern, sondern das findet schon viel früher, etwas im Kindergarten- oder Volksschulalter, statt“ so der Facharzt. Sucht könne man auch schon präventiv ansprechen.